Nun ist es doch gekippt. Nachdem CSU-Politiker der „Netzgemeinde“ und dem gesamten Web 2.0 bereits ihren Untergang prophezeit hatten, hat das Europäische Parlament das internationale Abkommen zum Schutz des Urheberrechts nun abgelehnt. Nach massiven Protesten wurde das Abkommen am Mittwoch mit 478 Gegenstimmen der Parlamentsabgeordneten zu Fall gebracht und ist damit gescheitert.1 Ein Neuabkommen soll es laut EU-Kommission nicht geben. Man wolle jetzt das Gutachten des Europäischen Gerichtshofes abwarten und dann die Lage prüfen.2
Ziel des Abkommens war es, die europäischen Standards zum Schutz der Hersteller von Produktpiraterie und Markenfälschung international zu stärken. Die darin enthaltenen Beschlüsse zum Urheberrechtsschutz, könnten aber zur Überwachung und Zensur, sowie zu drastischen Bestrafungen Einzelner führen, so die Kritiker des Abkommens.
Die Proteste
Nachdem eine Handvoll Aktivisten das Abkommen durch ihren Protest bekannt und zum Aufreger-Thema Nummer eins gemacht hatten, demonstrierten bald zehntausende auf den Straßen und im Internet.
Mit drastischen Warnungen, die per Video vor allem in Foren wie Youtube oder Facebook kursierten, versuchten die Internet-Aktivisten der Gruppe Anonymous zu zeigen, wie durch die Unterzeichnung des ACTA zu einem Überwachungsstaat führen könne.3
Die Hauptkritikpunkte
Die Verordnungen des Abkommens können dabei weitgehend als unumstritten gelten. Die Hauptkritik erzürnte sich an der Tatsache, dass das Abkommen zwischen den Jahren 2006-2010 weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit beschlossen und auch unterzeichnet worden war sowie daran, dass sich mit ACTA in erster Linie große Wirtschaftskonzerne und Politiker im Namen der tatsächlichen Urheber ihre wirtschaftlichen Interessen sichern wollen. Denn ACTA kommt in erster Linie den Verwertungsgesellschaften zugute und nicht den Urhebern selbst.4
Für ein Inkrafttreten fehlte nur noch die Ratifizierung des Abkommens von mindestens sechs Staaten. Jedoch reichte keiner der Verhandlungspartner seine Ratifikationsurkunde beim Depositar Japan ein. Weil nur wenig – und dies auch eher unbeabsichtigt – durchdrang, eignete sich das Abkommen auch bestens für wilde Spekulationen, die bis hin zu Verschwörungstheorien reichten.
Laut den Befürwortern von ACTA änderte das Abkommen an den Urheberrechtsbestimmungen in Deutschland aber ohnehin nichts, da dieses bereits hinreichend ’strenge‘ Vorgaben macht. Zudem verbleibe die Aufgabe der Vollstreckung bei den Vertragspartnern und diese könnten nicht verpflichtet werden, Verstöße zu ahnden, die nicht bereits nach nationalen Urheberrechtsgesetz strafbar sind.5 Bedenklich sind jedoch recht schwammigen Formulierungen, die durch ihre Ungenauigkeit erstmal eine Platzhalterfunktion für erst nachträglich festgelegte Maßnahmen haben können. Beispielsweise war nicht genau festgelegt, was mit „geistigem Eigentum“ gemeint sein sollte, was den Begriff zur Auslegungssache macht. Dies wird auch in Bezug auf die ‚Mitarbeit‘ deutlich, die ‚bei Bedarf‘ von Internetprovidern geleistet werden soll: Für Internetdienstanbieter wie wir es sind, ergäbe sich aus dem Abkommen eine unmögliche und zugleich rechtswidrige „Pflicht zur Überwachung und Abmahnung“ ihrer Kunden. Es verstößt jedoch gegen deutsches Recht, das Verhalten des Nutzers im Netz zu kontrollieren. Wir haben darüber bereits in unserem Blog berichtet.
Was kommt nach ACTA?
Wer jedoch geglaubt hat, mit ACTA habe sich die Sache erledigt, wird wohl enttäuscht werden. Laut Futurzone.at liegen ähnliche Vorhaben wie CETA, IPRED 2, TTP, Indect etc. bereits in der Schublade und sollen zum Teil wortwörtlich aus ACTA übernommene Formulierungen beinhalten. Auch insbesondere im Hinblick auf die strittigen Abschnitte zu strafrechtlichen Maßnahmen oder der Verfolgung von Urheberrechtsverstößen. So findet sich beispielsweise in CETA auch die umstrittene Forderung der Zusammenarbeit mit Internetprovidern wieder. Im europäischen Raum könnten ACTA-Ideen erneut mit der „EU-Richtliche zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (IPRED)“ Einzug halten.6
CETA
CETA – das Comprehensive Economic and Trade Agreement – ist ein zwischen der EU und Kanada geplantes Abkommen, das teilweise wörtliche Übernahmen aus ACTA aufweist. Davon sind in erster Linie Bestimmungen für Rechtsdurchsetzungen. So drängt die EU-Kommission darauf, das ACTA-Kapitel zu strafrechtlichen Maßnahmen und Kooperationen in CETA aufzunehmen, wie beispielsweise die Mitarbeit von Internetprovidern zur Überwachung ihrer Nutzer.7
IPRED 2
Für die „EU-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (IPRED 2)“ soll im Herbst diesen Jahres ein Entwurf vorgelegt werden. In erster Linie soll sie Regelungen umfassen, wie Musik, Literatur, Medikamentenrezepturen und sonstige intellektuelle Leistungen besser geschützt werden sollen. Im Fokus stehen dabei ebenfalls mögliche Strafmaßnahmen für so genannte „Raubkopierer“, wie einstweilige Verfügungen, Schadensersatzzahlungen aber auch Netzsperren für Personen, die trotz mehrmaliger Abmahnung Musik oder sonstiges urheberrechtich geschütztes Material im Internet tauschen. Außerdem sieht auch IPRED 2 die umstrittene Einbeziehung von Internetserviceprovidern in die Strafverfolgung vor.8
TTP
Die Ablürzung TPP steht für Transpazifische Partnerschaft. Dieses Vorhaben entstammt Verhandlungen zwischen den USA und diversen „Hardliner“-Staaten wie Japan und soll die die Forderungen von ACTA radikaler umsetzen, als dieses in der durch die EU abgeschwächten Form von ACTA der Fall gewesene wäre.9
Indect
Neben Vorhaben wie ACTA, die sich ’nur‘ mit der Produkt- und Filesharing-Piraterie befassen, gibt es auch noch einige ‚Überwachungsprojekte‘ mit wahrhaft Orwellschem Charakter, sollten diese Wirklichkeit werden. Mit INDECT soll in Zusammenarbeit mehrerer europäischer Universitäten, sowie Firmen und Poilzeibehörden ein „intelligentes Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Erfassung für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung“ entwickelt werden. Im Großen und Ganzen soll das Projekt bis auf eine erfolgreiche Erkennung von KfZ-Kennzeichen bisher kein Erfolg sein. Als problematischer ist dabei die Kombination unterschiedlicher Technologien zu betrachten, die bereits einzeln Grundrechte tangieren.10
Alternativen zum bestehenden Urheberrechtsschutz
Angesichts einer wachsenden Zahl an Internetnutzern auf der einen, sowie der zunehmenden Verbreitung von Endgeräten, die ein Surfen im Netz ermöglichen auf der anderen Seite, flankiert von einer wachsenden Vernetzung unserer Welt via Social Networks, in denen geteilt wird, was eben geteilt werden kann, sind solche Forderungen nach Kontrolle der Nutzer nicht nur unrealistisch. Sie würden – neben unbedingt zu wahrenden Grundrechten des Einzelnen – das freie Internet als solches gefährden und somit auch wieder wirtschaftliche Interessen.
Deshalb wird man sich Gedanken um ein neues, zeitgemäßeres Urheberecht machen müssen: Vorschläge zu einem alternativen Urheberrecht erarbeitete Dr. Till Kreutzer in seiner Dissertation. Die von ihm favorisierten Änderungen orientieren sich u. a. am amerikanischem „fair-use-Prinzip“ und berücksichtigen die unterschiedlichen Interessen an einem Werk.
Also nicht nur die des Urhebers und des Verwerters sondern auch die des Nutzers. Ein rein restriktives und auf Schutzinteressen ausgelegtes Urheberrecht hält er für nicht mehr zeitgemäß. Im Wesentlichen spricht er sich daher für eine Flexibilisierung aus, die einer pauschalen Kriminalisierung von Nutzern entgegenwirken soll, indem es die Nutzung verschiedener ‚Werkarten‘ von vornherein regelt. Im Großen und Ganzen bedeutet das ein Bezahlsystem aus, das den Urhebern zugute kommt.11 „Das geltende Recht verhindert das, denn die eigentlich sinnvollen Vergütungen können natürlich nicht für illegale Handlungen kassiert werden“, so Kreutzer.12
Künstler sind in Deutschland normalerweise Mitglied in der „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA)“.
Die Mitgliedschaft in der GEMA ist freiwillig und die laut deutschem Urheberrecht bestehenden Nutzungsrechte am Werk liegen ausschließlich beim Urheber selbst. Das Urheberrecht ansich kann dabei nicht übertragen werden, nur dessen Wahrung kann der Künstler an eine natürliche oder juristische Person übetragen. In der Theorie kann der Nutzer seine Rechte also auch selbst wahrnehmen. Praktisch ist die selbstständige Vertretung seiner Rechstanasprüche für den Einzelnen jedoch kaum machbar, weshalb eine Abkehr vom bisherigen Modell so schwierig ist. Zudem wurden Versuche der Gründung einer Konkurrenzinstitution zur GEMA vom Deutschen Patentamt bislang verhindert.13
Diverse Künstler halten jedoch die Vertretung ihrer Interessen durch die GEMA (durch ein Urheberrechtswahrnehmungssgesetz aus dem Jahr 1966) selbst nicht mehr für zeitgemäß und denken über Alternativen nach. So zum Beispiel die deutsche Sängerin Zoe Leela, die ihre Musik zum Download zur Verfügungs stellt und somit auch von der kostengünstigen Eigenwerbung profitiert. Die Künstlerin arbeitet mit der Non-Profit-Organisation „Creative Commons“ zusammen. Die Künstler haben so die Möglichkeit zwischen verschiedenen Lizenzverträgen zu wählen und von vorneherein festzulegen, wie ihr Werk genutzt werden darf.
Kritik am veralteten Modell der GEMA wird auch dahingehend geäußert, dass die GEMA jedes Anhören eines Musikstückes (via Youtube bspw.) als potentiellen ‚Kauf‘ betrachtet und damit voll abkassieren möchte. Das entspricht jedoch de facto nicht der Realität. Online Musik hören sei eher vergleichbar mit ‚Radio hören‘, so Musikmanager Tim Renner. Und hier käme die GEMA auch nicht auf die Idee, für jeden einzelnen Titel abzukassieren. Eine Beteiligung am Umsatz sei gerechtfertigt, so Brenner, jedoch müsste sich die GEMA den aktuellen Entwicklungen anpassen.14
Fazit
Es ist gut, dass das Abkommen nicht unterzeichnet wurde. In dieser Form wäre es gar nicht umsetzbar gewesen. Dennoch wird darüber nachzudenken sein, wie ein Urheberrecht im Internet zukünftig aussehen kann. Angesichts der rasant zunehmenden Möglichkeiten zum Filesharing, bzw. einer quasi ’nicht bezwingbaren Szene‘, die immer neue Möglichkeiten finden wird, um Sperren zu umgehen ist dies einerseits angezeigt. Zum Anderen kann eine einseitige Kriminalisierung von Nutzern nicht die Lösung sein und die Möglichkeiten zum ‚legalen Filesharing‘ sollten ausgebaut werden.
Das soll nicht dazu einladen – wie etwa von den Piraten vorgeschlagen – Inhalte im Netz komplett frei zugänglich zu machen. Solch ein Vorschlag ist meiner Meinung nach ebenso unrealistisch und ignoriert zudem die Rechte der Urheber. Alles in allem aber kann „der Fall ACTA“ als Beispiel dafür gelten, was Einzelne erreichen können, wenn sie sich in einer zusammenwachsenden und zunehmend demokratischen Welt ihr Recht auf freie Meinungsäußerung nicht beschneiden lassen. Dennoch bleibt abzuwarten, was auf ACTA folgt.
Hast Du Ideen, wie ein neues Urheberrecht aussehen könnte? Was müsste Deiner Meinung nach geändert werden? Ich freue mich über jeden Kommentar!
Quellen
1 Vgl. Heise-Online. CDU-Politiker: Kampfansage an die „liebe Netzgemeinde“. http://www.heise.de/newsticker/meldung/CDU-Politiker-Kampfansage-an-die-liebe-Netzgemeinde-1424958.html.
2 Vgl. TAZ.de. Umstrittenes Abkommen gekippt. Acta von Europaparlament abgelehnt. http://www.taz.de/!96674/.
3 Vgl. Brochhagen, Lena. Der Sieg der Nerds. ACTA-Gegner kippen umstrittenes Abkommen. http://www.einslive.de/magazin/netzthemen/2012/07/120704_acta_am_ende.jsp.
4 Vgl. Huber, Roman. Niemand muss überwacht werden. http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/dieredaktion/roman_huber/2951978/niemand-muss-ueberwacht-werden.story.
5 Vgl. Ferner, Jens. Das Anti-Counterfeiting Trade Aggreement (ACTA) und das deutsche Recht. http://www.ferner-alsdorf.de/2012/02/das-anti-counterfeiting-trade-agreement-acta-und-das-deutsche-recht/.
6 Vgl. Netzpolitik.org. ACTA-Comeback durch die kanadische Hintertür CETA? http://netzpolitik.org/2012/acta-comeback-durch-die-kanadische-hintertur-ceta/.
7 Vgl. Futurzone.at. Der „Geist“ von Acta lebt weiter. http://futurezone.at/netzpolitik/10009-der-geist-von-acta-lebt-weiter.php.
8 Vgl. Taz.de. Zurück auf „Los“. Auf Acta folgt Ipred 2. http://www.taz.de/!96648/.
9 Vgl. Futurzone.at. Der „Geist“ von Acta lebt weiter. http://futurezone.at/netzpolitik/10009-der-geist-von-acta-lebt-weiter.php.
10 Zeit-Online. Nach Acta ist vor Ceta. http://www.zeit.de/digital/internet/2012-07/nach-acta-kommt-ceta-indect-ipred/komplettansicht.
11 Vgl. Seite „INDECT“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 14. Juli 2012, 22:38 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=INDECT&oldid=105583664 (Abgerufen: 16. Juli 2012, 13‚:07 UTC).
12 Zeit-Online. Nach Acta ist vor Ceta. http://www.zeit.de/digital/internet/2012-07/nach-acta-kommt-ceta-indect-ipred/komplettansicht.
13 Vgl. Schneider, Adrian. Es kann nur besser werden. Alternativen zum Urheberrecht. http://www.telemedicus.info/article/1134-Es-kann-nur-besser-werden-Alternativen-zum-Urheberrecht.html.
14 Vgl. Welt.de. Deutsche Musiker suchen Alternativen zu Gema-Regelung. http://www.welt.de/videos/kultur_original/article13682526/Deutsche-Musiker-suchen-Alternativen-zu-Gema-Regelung.html.